VERA GLOOR // ARCHITEKTURBÜRO
Die Liste der vom Architekturbüro Vera Gloor sanierten Liegenschaften bzw. Neubauten im Kreis 4 und 5 ist lang. An der Neufrankengasse 22 steht seit 2006 ein Neubau mit Lofts, welcher im Bereich der „gehobenen Preisklasse“ anzusiedeln ist. Gleich daneben errichtete sie erst kürzlich ein Gebäude mit ihrer vielgepriesenen neuen Wohnform, der „Clusterwohnung“, was nichts anderes bedeutet als eine WG für VielverdienerInnen. Denn die einzelnen Zimmer kosten zwischen 1000 und 1400 Fr.
2007 gründete Vera Gloor die „ZH Immobilien AG für Stadtentwicklung“ um eben nicht nur als Architektin die Wohnsituation im Kreis 4 und 5 verändern zu können, sondern gleich als Investorin Liegenschaften zu erwerben, die bisherigen MieterInnen rausschmeissen und zu teureren Wohnungen umzubauen (so geschehen in der ehem. St. Pauli-Bar Liegenschaft an der Langstrasse 134).
Vera Gloor spricht mit ihrer Immobilienverwaltung auch kaufkräftige Investoren an, da „die zu erwartende Wertsteigerung der Immobilien […] eine grosse Sicherheit [bietet]“. Auf ihr medienwirksames Gelaber von wegen „sozialverträglichen Bauens“ und „Respekt vor der Geschichte der verschiedenen Quartiere“, können wir getrost verzichten. Sie ist und bleibt eine zentrale Figur (neben ihrem Ehemann Christoph Gloor, der zahlreiche Häuser besitzt) in der Verteuerung der Mieten im Langstrassenquartier.
POLIZEI, SICHERHEITSWAHN UND DISZIPLINIERUNGSMASSNAHMEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM
Die Architektur des Raumes bestimmt deren zukünftige Nutzung. Dies klingt banal, hat aber für die NutzerInnen Konsequenzen. Die Gestaltung des Raumes wird auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit und auf repressive Faktoren beschränkt. Plätze werden vermehrt für rentable Grossanlässe genutzt und durch Kameras überwacht (z.B. Limmatplatz, Sechseläutenplatz, etc.).
Dass diese Ordnung auch durchgesetzt wird, dafür sorgt schliesslich die Polizei und andere Organe wie etwa die SIP. Unliebsame Personen(-gruppen) also, wer „stört“ und nicht mehr ins neue „aufgewertete“ Quartier passt, kann mit dem neuen kantonalen Polizeigesetz von 2009 durch einen repressiven Wegweisungsartikel vertrieben werden.
Die überaus hohe Polizeipräsenz im Langstrassenquartier wird als Gewährleistung von Sicherheit verkauft, dabei ist ihre Aufgabe Schikane und Vertreibung von Menschen, welche nicht mehr ins Bild des neuen Quartiers passen; Junkies, Sexarbeiterinnen, MigrantInnen oder Gruppen von Jugendlichen, die einfach mal nichts tun, nichts konsumieren, sondern rumhängen, dort sind, auf Plätzen oder in Parks. Jene gelten als Gefahr für die Sicherheit. Doch es ist ihre Sicherheit, die Sicherheit des Kapitals, dass die kapitalistische Verwertbarmachung des Raumes nicht zu gefährden. Für deren Gewährleistung sorgen, wenn nötig eben, polizeiliche Repression oder andere Schergen der Sicherheitsindustrie (Securitas, SIP, Bahnpolizei, etc.)
EUROPA-ALLEE
Als jüngstes Beispiel für die Umstrukturierung in der Stadt Zürich gilt die Europa-Allee. Das Gebiet hinter dem Hauptbahnhof Zürich und in Angrenzung an die Kreise 4 und 5 soll die Verbindung werden zum luxuriösen Geschäftsviertel des Kreis 1 – quasi als Pfeil und Wegweiser ins „aufgewertete“ Langstrassenquartier. Der Umbau im Gebiet der SBB wurde 2006 in einer städtischen Abstimmung als „Stadtraum HB“ beschlossen und sah rund 500 Wohnungen vor; nun werden deren 373 gebaut(115 Eigentumswohnungen zu Preisen von 1.5 bis 2.5. Millionen Franken, 72 Apartments einer Senioren Residenz „für gehobene Ansprüche“ und 186 Mietwohnungen mit 3.5 und 4.5-Zimmer-Wohnungen für 4900 bis 5900 Franken). Daneben gibt es hauptsächlich Büroflächen für Grossbanken wie die UBS und andere Betriebe. Als kulturelles „Zückerchen“ und „Gewissen“ soll zudem ein Kulturhaus mit Kino entstehen, betrieben vom AL-Politiker Samir.
Die Europa-Allee ist also auch ein Ausdruck dessen, was als „Ökonomisierung der kulturellen und symbolischen Aufwertung des Viertels“ bezeichnet wird; die „subkulturellen“ Vorreiterprojekte auf dem Areal des Europa-Allee-Komplexes – wie die Remise und das Maxim-Theater in den Räumlichkeiten der SBB – waren blosse Einbindung in den Aufwertungs- und Verdrängungsprozess; ob bewusst oder nicht.
KAPITALISTISCHE URBANISIERUNG
Zürich hat sich in den letzten 20 Jahren sehr stark verändert. So war beispielsweise der Kreis 5 ein grossflächiges Industriequartier, was heute nicht mehr der Fall ist. Der Grund dafür liegt im zunehmenden Wachstum des Dienstleistungssektors, der das Leben und Arbeiten in der Stadt stark prägt. Die Industrie verlagert sich an die Stadtgrenzen oder aufs Land. Die Umwandlung der Quartiere wie an der Langstrasse oder an der Europaallee hat viel Volumen für Investitionen freigegeben; man hat entdeckt, dass sich mit der Stadt als Wohn- und Arbeitsraum viel Geld machen lässt. Das ist nicht nur in Zürich so, sondern ein globales Phänomen. Der Kapitalismus sucht sich neue Wege, wie er zu mehr Kapital kommen kann.
Die Stadt dient ihm, gerade in Krisenzeiten, als Raum für Investition und Profit.
So zeigt es sich, dass hinter der Aufwertung der Stadt nicht das Gutdünken der Politik steht. Es ist eine Farce, dass Aufwertung der Stadt die Lebensqualität der StadtbewohnerInnen verbessert. Oftmals bedeutet Aufwertung auch Verdrängung weniger zahlungskräftigen Personen.Die eigentliche Antrieb hinter der Stadtentwicklung ist der Kapitalismus. Deswegen nennen wir dies, was mit unseren Städten passiert, kapitalistische Urbanisierung.
Die eigentliche Antrieb hinter der Stadtentwicklung ist der Kapitalismus. Deswegen nennen wir dies, was mit unseren Städten passiert, kapitalistische Urbanisierung.
STADT ALS LABEL
Die Stadt ist für den Kapitalismus zentral. Sie dient als Ort, wo vor allem in Wirtschaftskrisen neue Investitionen getätigt werden können. Der Profit, welcher dabei herausspringt, ist allerdings an den Marktwert der jeweiligen Stadt gebunden: Unternehmen lassen sich nur in den Städten nieder, die auch attraktiv sind.
Die Attraktivität zeichnet sich vor allem dadurch aus, wie hip aber gleichzeitig auch sicher der urbane Standort ist. Es entsteht ein Kampf um florierende Unternehmen, die auch wieder Geld rückfliessen lassen, was man unter Standortwettbewerb zusammengefasst werden kann.
Auch die Stadt Zürich will in diesem Standortwettbewerb gut aussehen, was zur Folge hat, dass der Stadt ein bestimmtes Image aufgedrückt wird. Die Stadt ist nicht länger nur Raum von engem Zusammenleben, sondern wird mehr und mehr zur Marke, zum Label. Neue „Wahrzeichen“ wie der Prime Tower oder der Hafenkran geben der Stadt ein Profil. Die Stadt wird kommerzialisiert. Damit dieses Label aufrecht erhalten bleibt, muss es geschützt werden. Die massive Zunahme von polizeilicher Präsenz, die unzähligen Überwachungskameras sowie die Unterdrückung jeglicher Bewegung im öffentlichen Raum ist damit zu erklären, dass eben ein guter Unternehmensstandort vor allem sicher sein muss.
Die Stadt ist nicht mehr nur ein Ort, wo gelebt und gearbeitet wird, sondern sie ist ein Feld geworden, dass von Kapital und Profit dominiert wird.
Was hat das mit dem WEF zu tun?
Eine inhaltliche Verbindung zwischen der Stadtentwicklung und dem emsigen Treiben am WEF herzustellen, mag für den Einen oder Anderen komisch erscheinen. Allerdings zeigten die Recherchen, dass gerade die Stadt als Feld für Kapitalakkumulation am WEF ein sehr beliebtes Thema ist. VertreterInnen aus der ganzen Welt, welche sich vor allem aus wirtschaftlichen Interessen mit der Stadtentwicklung beschäftigen, nehmen ab und an der Konferenz teil.
So auch Ajit Gulabchand, Vorsitzender der Hindustan Construction Company, welcher seit Jahren kontinuierlich am WEF präsent ist. Seit 2010 ist Gulabchand auch Verwaltungsratspräsident der Steiner AG. Die Steiner AG ist eine Baufirma von grossem Ausmass, ihren Sitz hat sie in Zürich. Gulabchand hat in zahlreichen grossen Bauprojekten in Indien massgeblich seine Finger im Spiel und profitiert demnach sehr von der Landflucht der armen Bevölkerung. Seine Firma, die Hindustan Construction Company (HCC) baut momentan in Indien jedes vierte Wasserwerk, jedes zweite Atomkraftwerk, und jede zehnte Strasse des Landes sowie Staudämme, Brücken und übernimmt neustens die Planung ganzer Städte.
So ist das grösste Projekt von Gulabchand und der HCC die vollumfängliche Planung der Stadt Lavasa, deren Bau zum „Ziel“ hat, Platz für die Menschen aus Bombay und Pune zu bieten, welche aus allen Nähten zu platzen scheinen. Soweit die scheinheilige Argumentation der Multikonzerne, welche für den Bau von Lavasa die massive und gewalttätige Vertreibung der Landbevölkerung in Kauf genommen haben. Tatsächlich strömen jedes Jahr mehr Menschen vom Land in die Stadt. Dies ist aber nicht das grundlegende Problem. Das grundlegende Problem heisst Armut, deren Wachstum durch den retorte-ähnlichen Städtebau noch beschleunigt wurde, da dieser wirtschaftliche Krisen hervorrief. Anstatt jedoch mit progressiven Mitteln gegen die Armutsproblematik vorzugehen werden aktuell in Indien 400 neue Städte aus dem Boden gestampft, welche die landflüchtige Bevölkerung auffangen sollen. In Wahrheit aber werden die neuen Städte von Menschen der Mittelschicht bezogen, welche aus den überfüllten Metropolen flüchten. Dass in den neuen Städten keinen Wohnraum für die arme Bevölkerung geboten wird, zeigt sich eindrücklich an den bisherigen Bauten: Neben Einfamilienhäusern im antik-römischen Stil reihen sich Villen nach schweizerischem Vorbild. Und währendem es sich die Wohlständigen in den neuen, europäisch-orientierten Bauten bequem machen, leben die Vertriebenen in provisorischen Unterkünften und der Wohnraum in der Stadt wird ebenfalls zunehmend knapp.
Lavasa ist momentan das beste Beispiel dafür, wie Stadtentwicklung zunehmend eine internationale Dimension annimmt. Das bedeutet, dass einerseits der Kapitalexport zunimmt, dass aber anderseits auch die Planung von Lebensraum und somit auch Lebensbedingungen der Menschen auf internationaler Ebene strategisch geregelt wird. Die Diskussion über Stadtentwicklung bewegt sich also von einer regionalen auf eine internationale Ebene. Als im 2012 Gulabchands HCC die schweizerische Baufirma Steiner AG kaufte, wurde ganz klar formuliert, dass das Ziel dieser neuen Verknüpfung nicht nur der schweizerische und indische Markt sei, sondern dass das Grossunternehmen auch in Gesamteuropa aktiv sein will. Dabei verstehen sich die HCC und die Steiner AG als Totalunternehmen, welche den Grossteil des Marktes abdecken wollen.
Veranstaltungshinweis zu Stadtentwicklung: Analyse und Infos zur konkreten Situation in Bern und Zürich, Perla Mode Zürich, ab 19 Uhr.
aufbau.org